Co-Creation – mit Kunden zu neuen Produkten

von Angelika von Aufseß und Dr. Martina Steinröder

Kunden co-CreationEgal ob enhanced E-Book, App oder Online-Portal: Für die Entwicklung erfolgreicher digitaler Produkte ist das Eintauchen in die Lebenswelten der Kunden eine wichtige Vorrausetzung. Mit Co-Creation steht ein methodischer Ansatz zur Verfügung, der genau dies möglich macht.„Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde“. Mit diesem Zitat von Henry Ford wird den Kunden heute noch bescheinigt, dass sie – mangels Fantasie – für die Produktentwicklung ungeeignet seien. Sind sie das wirklich? Wir behaupten: Tatsächlich sind Kunden in der Regel keine visionären Innovatoren, ABER: Sie liefern das unverzichtbare Fundament für erfolgreiche Produktentwicklung.Wie? Indem sie uns zeigen und darüber sprechen, was sie tun, was sie nervt, was sie begeistert und was sie sich wünschen. Um an diese fundamentalen Verhaltensweisen und Bedürfnisse zu gelangen (auch Insights genannt), bedarf es geeigneter Kompetenzen und Methoden. Geschulte Wahrnehmung, erhöhtes Einfühlungsvermögen, fundierte Fragetechniken und sorgfältige Interpretation der Erkenntnisse sind der Schlüssel dazu. So birgt auch die Antwort im Ford-Zitat ein relevantes Bedürfnis: Die Menschen wollen schneller von A nach B gelangen.Genau darum geht es bei Co-Creation: Bedürfnisse erkennen, Anregungen bekommen, sich inspirieren lassen – das Selber-Denken bleibt den Innovatoren und Produktentwicklern jedoch nicht erspart.

Einsatzmöglichkeiten von Co-Creation

Co-Creation lässt sich in jeder Phase der Produktentwicklung einsetzen, von der Ermittlung von Kundenanforderungen bis hin zum Prototypentest. Besonders geeignet ist Co-Creation um:

  • Kundenanforderungen und „Customer Insights“ zu erkennen
  • sehr früh und einfach Resonanz auf Produktideen zu erhalten – „fail often, but fail early“ und
  • für Click-Dummy-Tests, die realitätsnah Facetten der User Experience erfassen.

Kundenanforderungen erkennen

Die Frage, was Kunden wirklich benötigen, wo ihre Probleme liegen, stellt sich häufig bei der Entwicklung digitaler Angebote oder bei der Repositionierung eines Programmbereichs, wenn das bisherige Programm nicht mehr erfolgreich ist. Dabei gibt es prinzipiell zwei Ansatzpunkte:

  • Kunden beobachten und / oder
  • Workshops mit Experten oder Lead Usern.

Viele Produktideen entstehen durch die direkte Beobachtung von Kunden, z.B. mit Shadowing oder „Day in the life of a Customer“. Wenn der Produktmanager beim Kunden in der Küche steht oder die Ärztin auf Station begleitet und anschließend gut vorbereitete kurze Interviews führt, wird schnell klar, wo der Schuh drückt und welche Angebote interessant sein könnten. Von zentraler Bedeutung: Solide Vor- und Nachbereitung der Sessions, sowie kompetente Ableitung von Konsequenzen für die Produktentwicklung.Auch interaktive Workshops mit Experten und Lead Usern können völlig neue Ideen bringen, da hier Menschen gemeinsam arbeiten, die sich schon lange und intensiv mit verschieden Aspekten der Fragestellung befasst haben. Für den Erfolg essentiell ist die richtige Zusammensetzung der Gruppe, die z.B. bei der Frage nach Lösungen für Rechtsanwälte nicht nur aus Juristen, sondern auch aus Kreativen, DesignerInnen, SoftwareentwicklerInnen bestehen kann.

Produktideen testen

Frühzeitiges Feedback zu Produktideen führt zu mehr Sicherheit bei der weiteren Entwicklung und minimiert das Risiko. Konzepttests sind einfach und günstig durchführbar. Für die Vorstellung des Konzeptes genügt i.d.R. eine professionell gemachte Power-Point-Präsentation. Da durch das frühe Testen die bisher entstanden Kosten gering sind, können Produkte ohne Probleme verworfen, modifiziert und gänzlich neu konzipiert werden. Zwei Ansätze haben sich hier bewährt:

  • Extremkonzepte und
  • Cafeteria-Konzept.

Mit Extremkonzepten werden die Produktideen auf möglichst extreme Weise dargestellt und die jeweiligen Konzepte verglichen. Zum Test einer Idee für ein Portal könnte z.B. eine Variante mit sehr vielen Social Media-Elementen, eine Variante als nüchterne Datenbank und eine sehr personalisierte Variante präsentiert werden. Beim Vergleich wird schnell klar, welche Aspekte für die Kunden besonders relevant sind.Beim Cafeteria-Konzept wird das Grundkonzept sowie ca. 6 – 8 unterschiedliche Module vorgestellt. Die Kunden können ihr bevorzugtes Angebot selbst zusammenstellen. Wichtig ist, dass sich die einzelnen Module eindeutig abgrenzen lassen, möglichst extrem sind und auch ungewöhnliche Elemente, die eigentlich nicht zum Konzept gehören, angeboten werden. Auf Standards kann verzichtet werden.

Wie funktioniert‘s?

Um relevante Antworten zu bekommen, müssen relevante Fragen gestellt werden. Zunächst ist eine Hypothesenbildung erforderlich. Von welchen Hypothesen gehen wir aus? Auf Basis der Hypothesen werden dann die Kriterien für die Auswahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen („Wer kann unsere Fragen beantworten?“) und das Setting festgelegt („Wie bekommen wir Antworten auf unsere Fragen?“). Der Erfolg hängt stark von den richtigen Teilnehmern ab. Diese sollten natürlich kommunikativ und kooperativ sein und nicht zu egoman (das ist vor allem ein Problem bei Expertenworkshops). Neben den externen Gästen (Kunden, Querdenker, Experten) nehmen bei interaktiven Workshops immer die internen Teammitglieder teil und sind aktiv beteiligt.Ein detaillierter Ablaufplan ist ebenfalls erfolgskritisch. Meist dauert ein Workshop 2 – 3 Stunden. Er beginnt mit einer Diskussion zum Thema (Leitfaden vorbereiten). Anschließend folgt der interaktive Teil, der mit einem Input (z.B. Extremkonzepte) startet und in vielen unterschiedlichen Settings ablaufen kann – vom Speed Dating bis zur gemeinsamen Konzeptentwicklung. Abschließend werden die Ergebnisse vorgestellt, priorisiert und bewertet.Die Auswertung im Anschluss an die Workshops erfolgt in drei Schritten und übersetzt die Impulse der Kunden, Experten und Querdenker in den unternehmerischen Produktentwicklungsprozess:

  • Welche Beobachtungen haben wir gemacht? (z.B. Menschen wollen schnellere Pferde)
  • Wie interpretieren wir die Beobachtungen? (z.B. Geschwindigkeit ist wichtig)
  • Was sind die Konsequenzen? (z.B. unser Produkt muss deutlich schneller sein als Pferde).

Jeder, der einmal bei Co-Creation Workshops mitgemacht hat weiß, wie inspirierend und anregend die Interaktion mit Kunden ist und bekommt völlig neue Perspektiven auf seine Produktideen. Ein weiterer Effekt ist, dass alle Beteiligten die gleiche Sicht bekommen und die Eckpunkte der neuen Angebote auf einmal klar und unstrittig sind. Oder, um eine Teilnehmerin zu zitieren „Ach, das sind unsere Kunden – hätte ich ja nie gedacht.“