Nachhaltiger Erfolg in Zeiten der Unsicherheit

von Iris Rommel und Dr. Martina Steinröder

Inzwischen ist es bei den meisten von uns gesackt: Wir glauben nicht mehr an stabile Zukunftssituationen, sondern stellen uns emotional auf unvorhersehbare Zeiten ein.

Wie wird sich der Wirtschaftsraum Europa entwickeln? Mit welchen Turbulenzen des Finanzmarktes werden unsere reservierten finanziellen Rücklagen zu kämpfen haben? Wie werden sich die Verschiebungen der Machtverteilungen auf der globalen Landkarte auf unser regionales Handeln auswirken? Wir wissen es nicht. Wie können wir uns auf diese Veränderungen, die wir nicht steuern können, sondern denen wir – wie dem Wetter – einfach ausgesetzt sein werden, vorbereiten? Wir haben uns inspiriert gefühlt von einer amerikanischen Managementstudie die sich ebendiese Frage gestellt hat und eine Auswahl von Spitzenunternehmen beforscht hat, die sich allesamt durch nachhaltige und überdurchschnittliche wirtschaftliche Erfolge in instabilen Zeiten ausgezeichnet hatten. (Jim Collins, Morten T. Hansen, Oben bleiben. Immer, Campus Verlag)

Wir möchten einige Grundgedanken aus der Studie, die uns selbst nachdenklich gemacht haben, vorstellen.

Abschied von Mythen

Es sind weder die innovativsten, noch die schnellsten, noch die veränderungsfreudigsten Unternehmen, die am besten mit Unvorhersehbarkeit umgehen können. Sondern es ist ein anderes Set von Tugenden, die sich bewährt haben. Die Autoren nennen drei Kernkompetenzen, auf die es ankommt in instabilen Zeiten:

  • fanatische Disziplin
  • empirische Kreativität
  • produktive Paranoia.

Was steckt hinter diesen neugierig machenden, nicht unbedingt mit positiven Assoziationen verknüpften Begriffen?

Fanatische  Diszipin

Der Grundgedanke ist einfach: „Marschiere jeden Tag zwanzig Meilen – nicht mehr und nicht weniger – egal wie das Wetter ist.“

Die praktische Umsetzung im Unternehmensalltag erfordert bestimmte Voraussetzungen. Wir brauchen (weiterhin) ein klares, motivierendes, sportliches Ziel, das uns und unser Team anspornt. Wir brauchen eine realistische Einschätzung der Leistungseinheiten, die wir an einem Tag, in einem Monat, in einem Jahr schaffen können, ohne uns auszubrennen. Diese Leistungserwartung sollte unsere Personalpolitik leiten, denn alle Teammitglieder sollen diesen Zwanzig-Meilen-Marsch schaffen können und wollen. Die Expeditionsleitung interessiert sich nicht für Ausreden, auch bei schlechtem Wetter werden diese zwanzig Meilen marschiert. Die Expeditionsleitung setzt aber auch bei gutem Wetter nicht die Leistungserwartung hoch, sondern sorgt dafür, dass das Team sich ausruht und seine Kraftreserven schont.

Also einfach immer weiter laufen für das Ziel, für das man sich entschieden hat, aber mit einer bewussten Etappengestaltung, die der Leistungsfähigkeit normaler, gut trainierter und leistungsbereiter Menschen entspricht. Eine Idee, die das Potenzial hat, vor Burnout-Phänomenen zu schützen, durch den Fokus der Arbeit und das Maß der Arbeit, die bewusst gesetzt werden.

Wir jedenfalls waren beeindruckt von der mentalen Unabhängigkeit, die dieser Umgang mit Leistungserwartung und Leistungserbringung sowohl für das Selbstmanagement als auch für die Führung von Teams und Unternehmen bietet.

Empirische Kreativität

Innovationsfähigkeit wird zurzeit als die zukunftssichernde Kernkompetenz für mittelständische Unternehmen gehandelt. Obwohl sich in der Theorie alle darüber einig sind, kämpfen Unternehmen mit der praktischen Umsetzung dieser Erkenntnis. Innovationen kosten Mühe und Geld, bis sie sich wirklich amortisieren. Die Studie bestätigt noch einmal, dass nicht die Idee, nicht die Erfindung, nicht die Produktentwicklung als solche erfolgreich macht, sondern die Fähigkeit, die Kreativität auf die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells zu lenken mit der Fragestellung: Was funktioniert bei uns?

Empirische Kreativität könnten wir also hier mit der Haltung, nüchtern und neugierig gleichzeitig zu sein, übersetzen. Empirisch Kreative lassen sich nicht vom Hörensagen und Trendprognosen leiten, sondern gehen selbst den Ursachen für Erfolg oder Misserfolg auf den Grund. Empirisch Kreative ahmen nicht nach, sondern gehen eigene Wege. Und empirisch Kreative investieren erst größere Budgets in Neuprojekte, wenn sie durch Vortests und Lernen aus Piloten genug über die neuen Gesetzmäßigkeiten wissen, um den Markteintritt erfolgreich zu machen.

Empirisch Kreative sehen keinen Grund, bewährte Erfolgsmuster des Geschäftsmodells nur um der Veränderung willen über Bord zu werden, sondern erforschen die Frage, welche Adaptionen die alte Erfolgs-DNA des Unternehmens heute braucht, um weiterhin zu funktionieren. Es ist also keine verspielte Kreativität, sondern eine intellektuell analytische und unternehmerisch pragmatische Kreativität, die den Unterschied zwischen Erfolg und Erfinden ausmacht.

Produktive Paranoia

Hier entdecken wir wohl den stärksten Bruch zu den etablierten Klischees, wie moderne Unternehmensführer sein sollten, nämlich positiv denkend, entscheidungsfreudig, charismatisch, teamfähig. Die erfolgreichsten Unternehmensführer werden in der Studie im Gegenteil als ziemlich seltsam, von ihrer Sache besessen und voll paranoider Ängste beschrieben.

Allerdings lassen sie sich von ihren Ängsten und Befürchtungen nicht lähmen oder demotivieren, sondern sie setzen die Paranoia produktiv um, indem sie brillantes Risikomanagement betreiben. Sie sorgen dafür, mit unternehmerischen Entscheidungen nie an ihre Investitionsgrenze zu gehen, sondern haben immer noch einen Reservekanister für das Unerwartete, das hinter dem Unvorhersehbaren lauert, bereit. Sie meiden Risiken, wo Nachteile die Vorteile überwiegen. Bei unkontrollierbaren Risiken haben sie Techniken entwickelt, schnell einzuschätzen, ob veränderte Umwelten eine Planänderung erfordern.

Diese Unterscheidung: Planänderung erforderlich oder nicht, ermöglicht auch in instabilen Zeiten Kontinuität zu leben, sich also nicht so schnell „kirre“ machen zu lassen. Sollte allerdings eine Planänderung notwendig sein, profitieren diese Unternehmensführer von der eintrainierten „fanatischen Disziplin“ und der „empirischen Kreativität“ mit der dann nüchtern und neugierig die Planänderung perfekt und in Kenntnis der eigenen Ziele, Erfolgsmuster und Leistungsfähigkeit erarbeitet werden kann.

Fazit

Unvorhersehbare Zeiten sind herausfordernde Zeiten. Menschen sind besser gerüstet, ihre Unternehmen widerstandsfähig zu machen, die bestimmte Tugenden pflegen. Trainieren Sie in Ihrem Unternehmen:

  • Die Fähigkeit, sich einem herausfordernden Ziel zu widmen und dadurch abstinent zu sein gegen Ablenkungen, die das Leben heute in Hülle und Fülle bietet.
  • Die Fähigkeit, mit Gleichgesinnten gemeinsam fleißig Expertise aufzubauen rund um das Thema, dem Sie sich beruflich gewidmet haben.
  • Sich nicht zu verausgaben, weder finanziell noch mit persönlichen Kräften, sondern auf Kontinuität und langen Atem zu setzen.
  • Schwierige Fragen nicht zu ignorieren, sondern ihnen intellektuell auf den Grund zu gehen, vorausgesetzt Sie haben sie als wesentlich für Ihr Überleben identifiziert.

Zum Weiterlesen: Collins, J., Hansen, M.T.: Oben bleiben. Immer; Frankfurt 2012