Das Unerwartete managen - Neues Handeln für neue Herausforderungen

Der Medienmarkt macht gewaltige Veränderungen durch. Gestern iPhone, heute Big Data und Mobile und morgen? Natürlich wissen wir nicht, wie die (nahe) Zukunft aussehen wird. Aber wir wissen, dass sich das Geschäft von Verlagen erheblich ändern wird. Daher werden Handlungsmuster benötigt, mit denen das Unerwartete gemanagt werden kann. Mit alten Routinen lassen sich neue Herausforderungen nicht bewältigen.

Unerwartete Ereignisse

Unerwartete Ereignisse können in unterschiedlichen Formen auftreten:

  • Als „Blitz aus heiterem Himmel“, also etwas völlig Neues, für das es bisher keinen Präzedenzfall gibt, wie der Markteintritt und die Entwicklung von Google.
  • Das Problem wird erkannt, die Erwartungen gehen aber in die falsche Richtung: Dies dürfte bei der Einschätzung der Digitalisierung nicht selten sein.
  • Das Timing stimmt nicht, z.B. die Marktentwicklung bei den eBooks.
  • Mit dem Problem wird gerechnet, das Ausmaß wird jedoch unterschätzt, z.B. die Rolle Amazons als zentraler Distributor für Bücher, Musik, Filme und Applikationen – und bald als Verlag?

Es besteht zunächst eine bestimmte Erwartungshaltung, die dann durch die tatsächlichen Ereignisse nicht erfüllt wird. Die Entwicklung nimmt eine andere, unerwartete Richtung. Das Problem besteht darin, dass solange nach der Bestätigung der eigenen Erwartungen gesucht wird, bis es für ein adäquates Handeln zu spät ist. Typische Beispiele sind Brockhaus vs. Wikipedia, die Entwicklung im Wörterbuch-Markt oder aktuell die Entwicklung bei den studentischen Lehrbüchern.

Handlungsoptionen

Um adäquat auf unerwartete Ereignisse reagieren zu können, sind vier Faktoren erforderlich:

  • Achtsamkeit
  • Kompetenz
  • Flexibilität und
  • rasches Handeln.

Achtsamkeit

Achtsamkeit umfasst die genaue Beobachtung von Markt, Umfeld, Kunden, technischen Entwicklungen usw. „Das Unerwartete zu managen heißt, dass man zuverlässig achtsam ist, nicht zuverlässig unachtsam“ (K.E. Weick, 2007). Leider führt die Überzeugung vieler Verlage, ihre Kunden exzellent zu kennen, fast zwangsläufig zu Unachtsamkeit. Dies kann z.B. bei der Entwicklung digitaler Angebote zu Problemen führen. Besonders bei der Reaktion auf disruptive Technologien ist es unabdingbar, sich von seinen bisherigen Einschätzungen und Erwartungen zu lösen und offen und unvoreingenommen die bisherigen und neue Kunden und Wettbewerber zu betrachten.

So wird in Fachverlagen allenfalls sporadisch Trendbeobachtung betrieben. Mittel und Kapazitäten stehen hierfür in der Regel nicht zur Verfügung. Bis ein neues Device den Weg in einen Verlag findet, ein Verlag eine Seite bei Facebook hat oder Data Analytics systematisch einsetzt, ist aus einem Trend bereits ein Massenphänomen geworden. Auch die Beobachtung branchenfremder Wettbewerber setzt meist erst ein, wenn das Konkurrenzangebot schon an die Tür klopft. Bei disruptiven Technologien ist es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät, um noch adäquat reagieren zu können.

Um frühzeitig Verhaltensänderungen zu erkennen, integrieren Verlagsgruppen wie ThomsonReuters oder WoltersKluwer Kundenbeobachtung in ihre Produktentwicklungsprozesse, und führen regelmäßig „Shadowing“, die Kundenbeobachtung vor Ort, oder qualitative Kundenanalysen durch. Bei der Entwicklung digitaler Angebote oder anderer neuer Services hat die frühzeitige Einbindung der Kunden, z.B. im Rahmen von Konzepttests, erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Angeboten und Geschäftsmodellen.

Bei Trendanalyse, Markt- und Kundenbeobachtung geht es darum, auch für Unerwartetes offen zu sein und sich nicht darauf zu konzentrieren, seine Erwartungen bestätigt zu sehen. Denn das ist ein zentrales Problem beim Agieren in neuen Geschäftsfeldern.

Kompetenz

Der Aufbau von Kompetenzen für neue Geschäftsfelder ist eine strategische Kernaufgabe. Die Kompetenzentwicklung kann z.B. über Personalentwicklung, strategische Akquisitionen oder Kooperationen erfolgen.

Um das Unerwartete zu managen, bedarf es neben neuen Kompetenzen auch eines neuen Umgangs mit den in den neuen Geschäftsfeldern kompetenten Mitarbeitern. Die Entscheidungswege für Printprodukte sind in Verlagen etabliert. Dies trifft jedoch nicht oder nur bedingt auf den Online-Bereich zu. 60-jährige Geschäftsführer entscheiden über Online-Angebote für 20-jährige Studierende. Entscheidungen sind von Unsicherheiten, oft auch Zaudern geprägt.

Gerade in unbekannten Marktsegmenten kann es sinnvoll sein, Kompetenzträger, und das kann auch mal der Volontär sein, stärker in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Bewährt hat sich die „koordinierte Führung“. Dabei wird die Führungsrolle zeitweise auf denjenigen verlagert, der gerade eine Lösung für ein Problem weiß, und zwar unabhängig von seiner hierarchischen Stellung. Das Management unterstützt diese vorübergehende Verlagerung aktiv und übernimmt die Kontrolle über die Entscheidungen.

Flexibilität

Die Zukunft ist nicht (mehr) planbar. Verlage müssen daher in der Lage sein, auf Veränderungen im Marktumfeld schnell zu reagieren, sie müssen flexibel sein und improvisieren können. Dies bedeutet auch, die eigene Planung ständig kritisch zu hinterfragen und das Vorgehen auch kurzfristig zu ändern. Erforderlich ist u.a. eine rasche und präzise Kommunikation, schnelle und unbürokratische Entscheidungen, schnelles Lernen und die Fähigkeit zur Neukombination vorhandener Kompetenzen. Flexibilität kann z.B. durch eine abteilungsübergreifende Projektorganisation ermöglicht werden. Auch bei der Produktentwicklung ist Flexibilität gefragt. Konzepte müssen früh getestet, modifiziert oder auch wieder verworfen werden – „fail often, but fail early“. Flexibilität bedeutet, einmal getroffene Entscheidungen zu hinterfragen und neu zu bewerten.

Rasches Handeln

Die Fähigkeit, angesichts neuer Entwicklungen rasch zu handeln, ist in Verlagen nur wenig ausgeprägt. Rasch zu handeln heißt, handeln, während man nachdenkt bzw. handeln, um nachzudenken. Gerade in neuen Geschäftsfeldern mit hoher strategischer Bedeutung, in denen noch wenig Kompetenzen und Ressourcen vorhanden sind, ist das Experiment eine wichtige Methode, um Erfahrungen zu sammeln. Hierzu zählt, Pilotprojekte mit relativ niedrigem Budget schnell umzusetzen, ggf. in Zusammenarbeit mit geeigneten Kooperationspartnern. Pilotprojekte können kleinere umschriebene Projekte sein, z.B. iPhone-Apps, oder auch Großprojekte, die jedoch gut skalierbar sind. Ein Beispiel sind eLearning-Angebote, bei denen zunächst nur ein Kurs realisiert und getestet wird. Der Investitionsentscheidung gehen ein- oder mehrstufige Piloten voraus, die es ermöglichen, die Time-to-Market beträchtlich zu verkürzen und gleichzeitig über bessere Entscheidungsgrundlagen zu verfügen. Es kommt also darauf an, sehr schnell neue Projekte zu realisieren und daraus zu lernen. Aufgrund der konkreten Erfahrungen kann dann entschieden werden, ob in dieses Angebot auch mittel- bis langfristig investiert werden soll.

Frühzeitiges und rasches Handeln ist auch im Umgang mit disruptiven Technologien erforderlich. Diese Technologien brauchen einige Zeit, bis sie zur Marktreife gebracht werden. Es ist daher erforderlich, lange vor der eigentlich geplanten Ablösung der Technologie nach möglichen Angeboten zu suchen und Erfahrungen zu sammeln.

 

Leitfragen für das Management unerwarteter Ereignisse

  • Stehen Ressourcen und Kompetenzen zur Verfügung, um den Markt und neue Entwicklungen intensiv zu beobachten und zu bewerten?
  • Werden Kompetenzträger unabhängig von der Hierarchiestufe bei Lösungsfindung und Entscheidungen eingebunden?
  • Bestehen flexible Strukturen?
  • Ist der Verlag in der Lage, rasch neue Projekte zu realisieren?

Zum Weiterlesen:  Weick, K.E., Sutcliffe,K.M.: Managing the Unexpected: Resilient Performance in an Age of Uncertainty, San Francisco 2011