Apps & Chatbots - „Wer möchte nicht gerne mit Harry Potter chatten?“

von Martina Steinröder

Was haben Apps und Chatbots gemeinsam? Beides sind Bereiche, mit denen Verlage nach wie vor fremdeln, beides sind Technologien im weitesten Sinn, die enormes, auch disruptives Potential haben.

Wenn man den Zahlen von App Annie für den App- Markt 2016 glauben kann boomt dieser Markt nach wie vor, den Löwenanteil tragen Spiele, aber auch Medien- bzw. Streamingdienste haben hohe Zuwachsraten.

Zunächst lohnt es sich, die Zahlen etwas genauer zu betrachten. Die Entwicklung der App- Downloads ist je nach Reifegrad des Marktes sehr unterschiedlich. Die Studie von App Annie zeigt, das Märkt wie China oder Brasilien massiv boomen, in den USA aber die Download-Zuwächse deutlich zurückgegangen sind bzw. nach der Adobe-Studie die Downloads auch insgesamt zurückgehen. Deutschland liegt so 1 – 2 Jahre hinter dem USA-Markt mit (noch) leicht steigenden Downloadzahlen.

Aber für mich sind die Downloads gar nicht die relevante Größe. Viel wichtiger ist die Nutzungsdauer – und die steigt und steigt. So stieg die Nutzungsdauer in den USA in 2016 um 25% sogar überdurchschnittlich an. Dagegen bleibt die Anzahl der je Smartphone installierten Apps, so ca. 30, relativ konstant. D.h., die Apps, die genutzt werden, werden sehr intensiv genutzt. Und das sind in erster Linie Messenger-, Social Media- und eben Spiele- und Streaming- Apps.

Von vor allem deutschen Verlagen weit und breit keine Spur. Hat die Branche hier einen Markt schlicht verschlafen?

Weltweit spielen deutsche App-Publisher kaum eine Rolle, was sicher auch an der Fokussierung auf den deutschen Markt liegt. In Deutschland gehört die Bild-App zu den meistgenutzten Apps. In der Kategorie „Essen und Trinken“ ist der Gräfe und Unzer Verlag seit langem immer mit mehreren Apps unter den 20 umsatzstärksten Apps vertreten. Apps, die Fachverlage anbieten, kommen fast nie in den Top- Rankings vor, da die Zielgruppen sehr klein sind. Aber auch hier gibt es vereinzelt sehr erfolgreiche Angebote, wie die App „ICare Wissen to Go“ für Pflegeberufe vom Thieme-Verlag.

Viele Verlage haben Apps nach dem Motto entwickelt „Jetzt machen wir auch mal eine App“ und waren dann enttäuscht von der fehlenden Akzeptanz. Aber das überrascht nicht. Die Apps deutscher Verlage bieten oft schlicht und ergreifend keinen Nutzen, die Usability ist schlecht. Dass strafen die User gnadenlos ab. Und es fehlt fast immer ein geeignetes Geschäftsmodell.

Ist es zu spät, jetzt noch in App-Angebote zu investieren, sprich: wer jetzt noch nicht dabei ist sollte die Finger von mobilen Anwendungen lassen?

Ich halte Apps nach wie vor für einen wichtigen Bestandteil des Portfolios. Allerdings sollte eine klare Strategie dahinterstehen. Immer, wenn ein neues Angebot entwickelt wird, sollte die Art der mobilen Nutzung auf dem Smartphone klar sein. Apps sind hierbei häufig sehr wichtig. Sinnvolle Einsatzmöglichkeiten von Apps sind m.E.:

  • Apps als Teil einer digitalen Lösung: Die Apps ermöglichen die optimale Nutzung des Angebotes auf dem Smartphone. Ein Beispiel ist Runtastic, wo die Apps ein sehr wichtiger Portfoliobestandteil sind, aber auch Facebook oder Netflix. Apps sind nicht das zentrale Erlösmodell, aber ein extrem wichtiger Touchpoint.
  • Skalierbare Apps: Apps werden im Rahmen eines schlanken, standardisierten Workflows günstig erstellt. Dadurch werden die Produktionskosten sehr niedrig gehalten. Die Erlöse werden dann über den Verkauf, in-App-Sales oder Abonnements erzielt. Beispiele sind die Rezepte-Apps von Gräfe und Unzer oder die Touren-Apps von Bruckmann oder Rother.

Die Finger lassen würde ich von Stand-Alone-Apps, es sei denn sie sind von Anfang an international gedacht und der Kundennutzen ist extrem hoch. Auch die 1:1-Umsetzungen von Zeitschriften sehe ich eher kritisch, da sie den Bedarf nach Aktualität nicht bedienen und meist nicht Smartphone-geeignet sind.

Zum Thema Chatbots: in diesem Begriff vermischen sich ja auf der einen Seite Automatisierungstechniken, Künstliche Intelligenz – und Kommunikation. Dies trifft auf eine Branche, die sich mit einem hohen Individualisierungsgrad, gerade handwerklichem Arbeiten brüstet, andererseits aber kaum kommuniziert, und wenn, dann mit dem Handel. Wie passen beide Bereiche zusammen? Was könnten konkrete Anwendungsszenarien für Verlage sein?

Bei den Chatbots stehen wir noch ganz am Anfang. Zurzeit arbeiten viele Chatbots mit relativ einfachen Algorithmen, z.B. Wetter-Chatbots oder der sehr sympathische Chatbot von Robbie Williams im Facebook Messenger, da ist von (künstlicher) Intelligenz keine Spur. Diese Chatbots lassen sich relativ einfach umsetzen. Intensiv gearbeitet wird an Chatbots, die mit der „schwacher“ künstlicher Intelligenz arbeiten. Hierzu zählt Spracherkennung, auch in Kombination mit komplexen Einsatzgebieten, wie z.B. im Kundensupport.

  • Kurzfristig geht es darum, das Verlage Erfahrungen mit der Technologie sammeln. Chatbots können z.B. die Kommunikation mit bekannten Autor/-innen oder Held/-innen aus Büchern ermöglichen. Wer möchte nicht gern mit Supergirl oder Harry Potter chatten? Chatbots können auf einfache und schnelle Weise News vermitteln, wie der CNN-Chatbot, oder die gezielte Suche nach Fachinformationen vereinfachen, z.B. für Juristen oder Architekten.
  • Mittelfristig gibt es im Bereich der Spracherkennung und der schwachen KI sehr viele Einsatzszenarien. Dies reicht von Rezeptanweisungen beim Kochen bis hin zur Unterstützung bei der Diagnosefindung in der Medizin. Aktuell wird sehr intensiv an der Nutzung von Chatbots im Kundensupport gearbeitet. Auch das ist für viele (Fach-) Verlage, aber auch für den Handel sehr interessant, da – wenn es denn funktioniert – sowohl der Service verbessert werden kann als auch erhebliche Einsparungspotentiale bestehen.